TAMIFLU: Hersteller hält systematisch Studiendaten zurück
(ir) Einen der besten Artikel, die ich je in der Süddeutschen Zeitung gelesen habe, erschien dort am 17. Dezember 2010 unter dem Titel: "Die Tamiflu-Lüge". Der Autor Nike Heinen beschreibt darin die Bemühungen des renommierten Influenza-Experten Tom Jefferson, von Tamiflu-Hersteller Roche die vollständigen Daten zu bestimmten Studien erhalten, die angeblich einen Nutzen dieses umstrittenen Medikaments beweisen.
Wie sich herausgestellt hatte, stammt die Übersichtsarbeit, auf die sich weltweit das Vertrauen auf Tamiflu stützt, von einem Wissenschaftler-Team, dass bei Hersteller Roche in Lohn und Brot stand. Acht der zehn von ihnen bewerteten Studien seien niemals veröffentlicht worden. Die Behauptung eines Nutzens des Medikaments basiert jedoch ausgerechnet auf diese Studien - die von Roch selbst finanziert und durchgeführt worden waren.
Roche will Jefferson und seinen Mitarbeitern die verlangten Daten nur aushändigen, wenn sie eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen und die Zielrichtung ihrer Untersuchungen vorher offenlegen. Das sei eine "verkehrte Welt", wird Tom Jefferson zitiert:
"Seit wann entscheiden die Begutachteten, was der Gutachter sehen darf - und was nicht?"
Tom Jefferson ist übrigens der Mann, dem die Weltöffentlichkeit das Wissen zu verdanken hat, dass die WHO heimlich - und rechtzeitig zum Start der angeblichen Schweinegrippe-Pandemie - die Pandemiekriterien so aufgeweicht hatte, dass praktisch jederzeit jedes harmlose Virus, das auf mehreren Kontinenten kursiert, zur Ausrufung einer Pandemie führen kann.
Die Erfahrungen Jeffersons, dass Hersteller und Behörden nur geschönte Studien und Teile aus Studien nach außen freigeben und sich mit Händen und Füßen gegen eine echte Transparenz des sogenannten Studiendesigns wehren, mache ich bereits seit Jahren. Es handelt sich also um eine übliche Praxis - die im Grunde jedes offiziell zugelassene Medikament in Frage stellt.
Es ist wohl anzuraten, den SZ-Artikel rechtzeitig abzuspeichern, bevor er im kostenpflichtigen Online-Archiv der Zeitung verschwindet. Solche Artikel bekommt man nicht alle Tage zu Gesicht: SZ-Online vom 17.12.2010
Kommentare
Hans U. P. Tolzin schrieb am 09.02.2012 um 15:01:02
Das Wörtchen "nur" ist an dieser Stelle tatsächlich mißverständlich. Danke für den Hinweis!
Nike Heinen schrieb am 09.02.2012 um 14:50:26
Vielen Dank für die freundliche Rezension. Jefferson hat allerdings nie gesagt - und dass "die Hersteller nur geschönte Studien nach außen abgeben". So eine Pauschalisierung des Tamiflu-Falls ist in gleichem Maße unwissenschaftlich wie das vorsätzliche Zurechtrechnen von Studiendaten.
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